Vor zwanzig Jahren startete eines der ambitioniertesten Projekte zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe aus Restbiomasse: bioliq® hat Maßstäbe gesetzt, Herausforderungen gemeistert und wichtige Meilensteine erreicht. Im Interview blickt Projektleiter Prof. Nicolaus Dahmen auf die Geschichte und die aktuelle Relevanz des Projekts zurück.
Herr Prof. Dahmen, wenn Sie heute auf über zwei Jahrzehnte bioliq zurückblicken: Was bedeutet dieses Projekt für Sie ganz persönlich?
Das bioliq-Projekt bedeutet mir persönlich sehr viel. Es war eine besondere Erfahrung, den gesamten Prozess begleiten zu dürfen – von der Konzeption über Mittelakquise, Bau und Inbetriebnahme bis hin zur Phase, in der alles funktionierte und Ergebnisse sichtbar wurden. Bioliq steht dabei für weit mehr als nur eine Anlage – es war eingebettet in ein Forschungsnetzwerk, mit dem wir das Thema wirklich voranbringen konnten. Deshalb blicke ich mit einem eher lachenden als weinenden Auge zurück.
Erzählen Sie uns davon, wie die Projektidee – bereits Ende der 90-er Jahre im sogenannten „Strohkränzchen“ entstand und was der ursprüngliche Antrieb war?!
Damals stand der Klimawandel noch nicht so sehr im Vordergrund. Es ging vor allem um Versorgungssicherheit und mehr Unabhängigkeit in der Energieversorgung. Schnell wurde klar: Biokraftstoffe der ersten Generation, wie Bioethanol und Biodiesel, reichen mengenmäßig niemals aus, um den Bedarf im Transportsektor zu decken. Diese Kraftstoffe haben wir zwar bis heute als Beimischung, aber eben nur in begrenztem Umfang. Im „Strohkränzchen“ haben wir deshalb systematisch geschaut: Welche Reststoffe, die nicht mit der Nahrungsmittelproduktion in Konkurrenz stehen, gibt es eigentlich und in welchen Mengen sind sie verfügbar. Und das Ergebnis war eindeutig: Ja, da ist ein erhebliches Potenzial. Und daraus entwickelte sich dann die Idee für den bioliq-Prozess.
Zwischen dem ersten Spatenstich zur bioliq-Anlage 2005 und dem ersten fertigen Benzin 2017 lagen viele Jahre. Was waren die größten Hürden – und Erfolge?
Ja, das klingt nach einem langen Zeitraum – und das war es auch. Aber es gibt zwei zentrale Gründe dafür. Zum einen wurden die Fördermittel für die einzelnen Anlagenteile in mehreren, aufeinanderfolgenden Anträgen bewilligt. Jeder Antrag musste entwickelt, eingereicht und genehmigt werden – das führte zwangsläufig zu einer zeitlichen Staffelung. Hinzu kommt, dass jede dieser Anlagen in der bioliq-Prozesskette – von der Schnellpyrolyse über die Synthesegasherstellung und -reinigung bis zur Kraftstoffsynthese – einzeln getestet und in Betrieb genommen werden musste, bevor das Gesamtsystem durchgängig betrieben werden konnte. Die Inbetriebnahme solcher Versuchsanlagen ist dabei immer mit großem Aufwand verbunden. Die bioliq-Pilotanlage ist zwar groß, aber eben keine industrielle Produktionsanlage, sondern ein komplexer Forschungsaufbau. Wir haben Prozesse im Pilotmaßstab umgesetzt, die in dieser Form vorher noch niemand betrieben hatte. Im Labor funktionierte vieles – aber beim Hochskalieren lernt man zwangsläufig dazu. Und diese Lernkurve braucht Zeit. Dass es am Ende wirklich gelungen ist, aus Stroh einen hochwertigen Kraftstoff herzustellen, war ein großer Erfolg – konzeptionell, technisch und organisatorisch.
Warum wurde ausgerechnet Benzin als Endprodukt gewählt – und nicht etwa Diesel oder Kerosin?
Ursprünglich war nur geplant, das entstehende Synthesegas zu nutzen. Doch man wollte ein greifbares Endprodukt schaffen – auch zur Bewertung der Alltagstauglichkeit des Produktes. Die Wahl fiel auf Benzin, weil es damals noch großes Entwicklungspotenzial im Bereich moderner Benzinmotoren gab, etwa bei der mit herkömmlichem Benzin nicht ohne weiteres realisierbaren Hochdruck-Direkteinspritzung. Dafür wird ein besonders hochwertiges Synthesebenzin benötigt – und genau das wollten wir liefern.
Bioliq ist auch ein Beispiel für gelungene Begleitforschung. Wie erklären Sie sich die Vielzahl an Forschungsprojekten, die daraus hervorgegangen sind?
Ich denke, ein wesentlicher Erfolgsfaktor war die Verortung des Projekts am KIT. Hier treffen universitäre Lehre und Großforschung der Helmholtz-Gemeinschaft aufeinander – das schafft ideale Voraussetzungen für interdisziplinäre Zusammenarbeit. Die Nähe der Forscherinnen und Forscher zur Anlage hat vieles erleichtert: Es war vergleichsweise einfach, thematisch passende Förderprojekte aufzusetzen, Studierende für Abschlussarbeiten zu gewinnen oder Doktorandinnen und Doktoranden zu begeistern. Das Umfeld hat einfach gestimmt – und im Rückblick zeigt sich, wie fruchtbar das war.
Was braucht es, damit Technologien wie Bioliq künftig großflächig umgesetzt werden können? Und warum musste dieses erfolgreiche Projekt dennoch enden?
Ein tragfähiges Geschäftsmodell ist für jede kommerzielle Technologie entscheidend – auch für bioliq. Anfangs gab es noch eine Steuerbefreiung für Biokraftstoffe, die 2015 auslief. Von da an wurde der Weg deutlich steiniger. Wir haben das Projekt dennoch weitergeführt, da die Prozesskette noch nicht vollständig entwickelt und demonstriert war. Parallel dazu untersuchte Verwertungsstrategien zeigten jedoch, dass eine kommerzielle Umsetzung des Prozesses unter den derzeitigen Rahmenbedingungen nicht wirtschaftlich wäre. Ende 2024 wurde der Betrieb daher eingestellt und das Projekt abgeschlossen. Die Forschung an den zugrunde liegenden Schlüsseltechnologien wird aber, in kleinerem Maßstab, im Carbon Cycle Lab des Energy Lab am KIT weiter fortgesetzt.